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Henry Holt (Macmillan)
Paul Auster

 
Rezensionen

Paul Auster: Travels in the Scriptorium
 

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Volker Frick

Paul Auster hat einen neuen Roman geschrieben. Nicht überraschend, ist er doch Schriftsteller. Er schreibt seit Jahren einen Roman nach dem anderen. Er kann auch anders.
Der alte Mann sitzt auf der Kante des schmalen Bettes, die Hände ausgestreckt auf seinen Knien, Kopf nach unten auf den Boden starrend. Mr. Blank ist, gleich der weißen Seite für den Schriftsteller, mit diesem Namen perfekte Projektionsfläche für den Leser. Kameraüberwachung rund um die Uhr. Ein Gefangener vielleicht, dessen Kopf nicht mehr in der Lage ist, die Situation zu bestimmen. Sein Dasein. Weder weiß er, wo, noch wer er ist. Alles wird aufgezeichnet. Gewidmet ist dieses Buch dem Anfang 2004 verstorbenen Schwiegervater von Paul Auster: Lloyd Hustvedt.
Ich war erstaunt über die Widmung seines vorletzten Romans Nacht des Orakels (2004): "für Q.B.A.S.G.", und klein darunter "(im Gedenken)", vermutete aber, es handele sich um Protagonisten seiner früheren Romane, und so sind in diesem neuen Roman mit dem an eine Klausurtagung erinnernden Titel alle da, von Anna Blume bis David Zimmer.
Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch. Die Körperfunktionen und das angeblich leitende Organ driften auseinander. Inkontinenz. An "Murphy" in seinem Schaukelstuhl musste ich denken, an das Bühnenbild des Endspiels, an Beckett. Überhaupt. Auster lernt ihn Anfang der 70er des letzten Jahrhunderts des letzten Jahrtausends kennen, in Paris.
Austers Freund Don DeLillo fiel mir ein und dessen jüngstes Theaterstück Love Lies Bleeding. Da dachte ich, Demenz et al., dachte: metaphysische Dunkelheit, postmoderne Selbstreferenzialität. Alles richtig. Auf dem Tisch ein Typoskript, Fotos. Ja, tatsächlich, es könnte eine Kriminalgeschichte von Beckett sein. Eine willkommene Rückkehr zu dem, was dieser Autor kann.
Ein weiteres Typoskript, welches Mr. Blank dann später liest, beginnt mit denselben Worten wie das Buch, welches der Leser gerade liest …"The old man sits on the edge of the narrow bed, palms spread out on his knees, head down, staring at the floor." In Hinter verschlossenen Türen (im Original The Locked Room), der dritten Geschichte der New York-Trilogie, sagt der namenlose Erzähler: "Bestenfalls gab es ein einziges armseliges Bild: die Tür eines verschlossenen Zimmers. (...) Dieses Zimmer, entdeckte ich nun, befand sich in meinem Schädel." Oder: Paul Auster travels in the scriptorium. Mr. Blank findet keine eindeutigen Hinweise, ob die Tür des Raumes verschlossen ist oder nicht. Es schlichtweg zu überprüfen, kommt ihm nicht in den Sinn.
Zweifelsohne das befremdlichste Buch von Paul Auster. Die weiteren Figuren dieses Romans, dessen erste Seiten nahe legen, ihn nicht als Erzählung zu nehmen, sondern als einen Bericht zu verstehen, sind Besucher, oder die Besucher sprechen von ihnen, als da sind Anna Blume (aus Im Land der letzten Dinge), David Zimmer (Das Buch der Illusionen), Peter Stillman (Stadt aus Glas, Teil der New York-Trilogie), Benjamin Sachs (Leviathan), Walt Rawley (Mr. Vertigo), Fanshawe (Hinter verschlossenen Türen, Teil der New York-Trilogie), John Trause (Nacht des Orakels), Marco Fogg (Mond über Manhattan) und und und ... und selbst noch die Geschichte in der Geschichte, die sich, auch das für einen Roman von Paul Auster nicht ungewöhnlich, im ersten Typoskript, welches Mr. Blank liest, findet, ruft Erinnerungen an ein Buch hervor, das Paul Auster vor einigen Jahren übersetzte: Chronicle of the Guayaki Indians von Pierre Clastres.
Das Schicksal eines Schriftstellers, vorgeführt als philosophische Flugschrift über das Schreiben, als Meta-Roman, der den Leserinnen und Lesern der Romane von Paul Auster qua Wiedererkennung angemessene Unterhaltung bietet. Andererseits dürfte der Autor einen Mordsspaß gehabt haben, denn was nun von Literaturkritikern und -wissenschaftlern als Exegese an- oder aufgeboten werden wird, ist absehbar. Von Luigi Pirandello (Literaturnobelpreis 1934) erschien 1921 Sechs Personen suchen einen Autor, der neue schmale Roman von Paul Auster hingegen ist sein persönliches Golgatha. Fragen stellen sich da nicht mehr. Wie aber werden jene diesen Roman lesen, die zuvor den Namen Paul Auster lediglich gehört haben? Und was macht Mr. Blank? Er fragt sich, wie er aus diesem Raum, der das Buch ist, das geschrieben wird, solange er in diesem Raum ist, herauskommt.
Ein neues und überraschendes Buch von Paul Auster, welches im Juli 2007 mit dem Titel Reisen im Skriptorium in Übersetzung auf den Markt kommt. Tatsächlich scheint er sich auf seine Anfänge als Schriftsteller besonnen zu haben, was auch ein Zitat aus Im Land der letzten Dinge unterfüttert: "Mr. Frick glaubte wirklich, ich wäre von den Toten auferstanden."

 

Paul Auster: Travels in the Scriptorium. Roman. 160 Seiten. Henry Holt. New York 2007. $ 22.00.