Am Erker 62

Michael Weins: Lazyboy

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Rezensionen
Michael Weins: Lazyboy
 

Die Legende von Beek
Oliver Uschmann

In der aktuellen Ausgabe des Buchjournals diskutieren Nina Pauer und Christoph Giesa über die seelische Verfassung ihrer Altersgenossen. Ihre Analyse: Die "Generation 30" ist unentschlossen und bindungsängstlich. Ihre Lösung: "Wir brauchen ein Projekt." Der Protagonist aus Michael Weins' neuem Roman ist ein typischer Stellvertreter dieser Epoche. Er heißt Heiner Boie, nennt sich Lazyboy, arbeitet lustlos als DJ und Musikjournalist und kommt ins Schwitzen, als seine Freundin Monika nach sechs Jahren Beziehung an den Straßenrand fährt, den Wagen ausmacht und auf der Stelle eine Entscheidung verlangt. "So geht es mit uns nicht weiter. Jetzt muss bald mal der nächste Schritt kommen. [...] Jede Beziehung braucht ein Ziel, braucht ein Projekt." Monika ahnt nicht, dass ein ganz anderes Projekt auf Heiner zukommt. Der Leser ahnt nicht, dass Lazyboy in der Hauptsache viel mehr als ein Buch über unentschlossene Berufsjugendliche ist - schließlich hat Michael Weins es geschrieben. Und da dieser das Rätselhafte wie kein Zweiter mit trockenem Humor in die Wirklichkeit webt, lässt er Lazyboy beim Durchschreiten mancher Türen einfach woanders auftauchen. Diese Fähigkeit führt ihn eines Tages zu der dreizehnjährigen Daphne, die mit ihrem geheimnisvollen "kranken Onkel" in einem Haus in der Provinz lebt. Sie teilt Lazyboys Fähigkeit und besitzt eine Kellertür, die grundsätzlich nach Beek führt. Und dieses Beek wird Heiners "Projekt".
Die seltsame Stadt hinter der Tür hat eine Schule, ein Rathaus, eine Feuerwehr und eine Seilmanufaktur. Ihre Bewohner sind unsterblich. "Wir sind noch da, und wir sind wir selbst und doch die anderen, die Nachfolger, zu viel Zeit ist durch uns hindurchgeweht." Dieser Zustand begann mit der Trennung von den "Brüdern und Schwestern", denn eine endlose Wand teilt Beek in zwei Hälften. Sie kann weder überklettert noch untergraben werden, hat aber eine Tür in der Mitte einer kleinen Insel im Beeksee. Öffnet man sie, zeigt sich ein milchiges Weiß. Niemand kann hinein. Niemand tritt jemals heraus. Hier kommt Lazyboy ins Spiel. Er gilt dem Volk von Beek als Erlöser, als "der Mittler", auf den man schon seit Ewigkeiten wartet. Und in der Tat: Er kann auf die andere Seite, nur dass dort niemand von einer Teilung oder einer anderen Ortshälfte weiß. Zwischen den zwei Beeks und der diesseitigen Wirklichkeit entspinnt sich in der Folge die ideenreichste, eindrucksvollste und stimmigste Geschichte einer Selbstfindung, die es zurzeit in der deutschsprachigen Literatur gibt. Weins ist ein Virtuose der Sprache, verliert sich aber niemals in ästhetizistischen Muskelspielen. Das Verhalten seiner Figuren ist absurd und realistisch zugleich. Sein "Beek"-Szenario befeuert Assoziationen zu rätselhaften Dramen wie Twin Peaks oder Lost. Aus jeder Zeile sprüht die begnadete Fähigkeit, eine Literatur des Übermuts zu verfassen und gleichzeitig die Kontrolle über jeden Faden und jedes Motiv zu behalten. Und obwohl in Lazyboy das Fantastische auf den Rationalismus trifft, bleibt die "Legende von Beek" ein kafkaeskes Gleichnis von zeitloser Vieldeutigkeit. Michael Weins schafft als Schriftsteller das, was die Beatles als Musiker vollbrachten – er gestaltet voraussetzungsfreie, wunderschöne Oberflächen, unter denen sich vertrackte Kompositionskomplexe verbergen. Dazu passend lächelt einen die Karte des geteilten Beek beim Aufschlagen des Buches in niedlicher Kinderkrakeloptik an. Alles nach dem Motto: Der beißt nicht, der will nur spielen. Und während er das tut, hat er nebenher das beste Porträt der "Generation 30" geschrieben, obwohl das nicht im Geringsten sein Hauptanliegen darstellt.

 
Michael Weins: Lazyboy. 336 Seiten. Mairisch. Hamburg 2011. € 18,90.