Am Erker 64

Ulrich Mannes: Alpenglühn 2011

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Ulrich Mannes
Verbrecherverlag

 
Rezensionen
Ulrich Mannes: Alpenglühn 2011
 

Im Käfer Cabrio nach Ibiza
Andreas Heckmann

Gut erinnere ich mich der gespannten Unruhe, mit der ich 1976 mein Fahrrad am Ziegelhofkino abschloss, um - ein wohlig-beklommenes Gefühl heimlichen Sündigens in den blutjungen Adern - die Nachmittagsvorstellung von Her mit den kleinen Engländerinnen zu besuchen, einem Film, in dem es zwischen Jungen und Mädchen, die nur wenig älter waren als ich, zu Gefühlswallungen und einer körperlichen Nähe kam, die über Küsse durchaus hinausging. Und ich weiß, dass ich das Kino mit dem festen Vorsatz verließ, bald einen Sprachkurs in England zu machen. Als es dazu 1978 kam, sprang für mich außer allzu langen Schlabberküssen mit einem Delmenhorster Brummer - amüsiert bespöttelt von Schulfreund Remmer und seiner zauberhaften ostfriesischen Kusine, einer zierlichen Blonden namens Brunhilde, die alle Bruhnchen nannten und die sich, Peacenik-Buttons an der olivgrünen Umhängetasche, mit Kifferchaot Wolfgang innig vergnügte - nicht viel heraus.
Später habe ich noch Eis am Stiel und natürlich David Hamiltons schwüles Opus Bilitis gesehen. Und ich entsinne mich, dass in meinem Zimmer Hamilton-Poster hingen, darunter eines, in dessen Vordergrund Tauben aufflogen, während hinten Mädchen in langen, blumengemusterten Kleidern und ausladenden Sommerhüten standen - ein Foto, das mich, auch des bröckelnden Mauerputzes wegen, lange beschäftigte.
Dass es auch deutsche Teeniekomödien gab, in denen es mehr oder weniger zur Sache ging, hat mich erst später und nur in homöopathischen Dosen erreicht. Umso schöner, dass der Münchner Cineast und Filmvorführer Ulrich Mannes nun im Verbrecherverlag Alpenglühn 2011. Ein Dialog zum deutschen Erotikkino veröffentlicht hat, eine schmale, in der Reihe "Filit" (= Film und Literatur) herausgegebene Publikation, die sich dem harmlosen deutschen Schmuddelkino der späten 60er und der 70er Jahre verschrieben hat, dem Hans-Jürgen Syberberg schon 1969 mit der Dokumentation Sex-Business, Made in Pasing ganz großartig zu Leibe rückte. Mannes lässt den Filmfreund Erich Lusmann ins Gespräch mit seiner Nachbarin Roswita Neumann geraten, die leider nur Stichwortgeberin ist, also blass bleibt. In Lusmanns wohlinformierten, mitunter mild mokanten Ausführungen geht es zunächst um Filme wie Griechische Feigen und Geh, zieh dein Dirndl aus und deren Darsteller, dann aber primär um Sigi Götz, der als Sigi Rothemund u.a. die Donna-Leon-Filme der ARD dreht, unter dem Schmuddel-Pseudonym Sigi Götz aber der kreativere und lustigere Regisseur war, auch wenn er von dieser Lebensphase, an deren Ende 1981 Piratensender Powerplay mit Mike Krüger und Thomas Gottschalk stand, nichts mehr wissen will.
Ulrich Mannes lässt das Verdrängte nicht nur im Leben des Sigi Rothemund zurückkehren, er flicht den vergessenen Softpornos jener Jahre, die heute vom Retro-Bonus zehren, auch mit kühler Ironie und nur knapp zuckendem Mundwinkel kleine Lorbeerkränze, und das mit Recht: Wer Gelegenheit hat, Sigi Götz' Summer Night Fever von 1977 mit dem charmanten Claus Obalski und der langsam, aber gewaltig zu großer Form auflaufenden Olivia Pascal (wieder) zu sehen, sollte dies unbedingt tun: Nicht nur der Soundtrack des beschwingten Sommer-Sonne-Disko-Films mit dem ewigen Saxofon von "Baker Street" entzückt, auch die unschuldig-verrufene, unendlich absehbare Geschichte dieses sich hedonistisch zwischen München und Ibiza im Käfer Cabrio lümmelnden Roadmovies begeistert.
Und um sich und Mannes eine Freude zu machen, ordere man das Fanzine, das der hartgesottene Sigi-Götz-Enthusiast mit Unterstützung zahlreicher Filmfreunde (unter ihnen Peter Goedel, dessen Talentprobe einen Schlager-Talentwettbewerb im Kölner Tanzbrunnen 1979 dokumentiert und seit kurzem, ergänzt um die Doku Talentprobe - ein Wiedersehen (2009), bei 2001 günstig als DVD zu haben ist) halbjährlich in München herausgibt (beziehbar hier).

 
Ulrich Mannes: Alpenglühn 2011. Ein Dialog zum deutschen Erotikkino. 72 Seiten. Verbrecher. Berlin 2012. € 12,00.