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               "Schreib' bloß nicht wieder so eine 
                Jammerkolumne, Müller-Zech. Diesen depressiven Käse 
                will doch niemand mehr lesen." Ich halte den Telefonhörer 
                in einigem Abstand von meinem rechten Ohr. Dennoch klingt die 
                Tirade des Redakteurs so klar, als ob er direkt neben mir stände. 
                Jetzt fängt er an, über die Finanzkrise zu schwadronieren. 
                Gerade in einer solchen, existentiell bedrohlichen Situation fänden 
                doch viele Menschen zur Literatur, würden Trost, Entspannung 
                und Ablenkung in Büchern suchen. Ich solle mich gefälligst 
                als Lebenshelfer verstehen, anstatt in sauertöpfischer Manier 
                den Leuten ihre Lektüre madig zu machen. Vor allem sei es 
                förmlich unanständig, dauernd über das angeblich 
                zu niedrige Honorar zu klagen, das mir diese Zeitschrift in unregelmäßigen 
                Abständen anweist. Nicht wenige, und hier nimmt die Stimme 
                des Redakteurs einen drohenden Ton an, würden sogar etwas 
                dafür zahlen, böte man ihnen die Gelegenheit, interessierten 
                Lesern ihre Meinungen oder ihre selbstverfassten Gedichte nahezubringen. 
                Damit legt er auf. Mir ist übel. Seit Wochen schlafe ich 
                schlecht, weil mir nichts einfallen mag. Und dann dieser Anruf. 
                An Tagen wie heute möchte ich die Schreiberei am liebsten 
                drangeben. Dann erscheint der Reiz, mir wildfremde Menschen mit 
                dem zu behelligen, was ich über irgendwelche Bücher 
                denke, eher gering, und die Versuchung, mich nur noch meinen Flugmodellen 
                und dem Fernsehprogramm zu widmen, wird größer, zumal 
                ich seit kurzem einen schicken Digitalreceiver mein Eigen nenne, 
                der die Anzahl der zu empfangenden Sender vervielfacht hat. 
                Da klopft es an der Verandatür. Es ist der Paketbote, schon 
                häufig mein Retter in Sinnkrisen. Und er hat so einiges im 
                Gepäck. Wenig ist befriedigender als das Öffnen von 
                Büchersendungen, vor allem, wenn sich das Verpackungsmaterial 
                wiederverwenden lässt. Ein neuer Verlag aus dem westfälischen 
                Werne schickt mir ein stattliches Paperback mit dem schönen 
                Titel Wege in die spontane Erfolglosigkeit. Da kann ich mitreden, 
                befürchte allerdings, dass hier Ironie im Spiel ist, schließlich 
                handelt es sich bei einem der beiden Autoren um den frischgebackenen 
                Verleger persönlich. 
                Zu lesen gibt es allerhand Sinniges und Humoristisches aus der 
                bunten Welt von heute. Sprachkritik zum Beispiel. Oder WG-Geschichten. 
                Aber auch das Tagebuch eines Ausflugs nach Berlin, dessen Autor 
                vor allem damit befasst zu sein scheint, Arbeitsproben bei Rundfunk-, 
                Fernseh- und Zeitschriftenredaktionen abzuwerfen. Ohne großen 
                Erfolg, versteht sich. Daher vielleicht der Titel. 
                Mich erheitert die Lektüre leider nur wenig, aber ich wünsche 
                den Herren See und Huppert natürlich dennoch viel Glück 
                mit ihrem Werk, da ich sicher bin, dass es Menschen gibt, denen 
                es in schwierigen Zeiten Beistand zu leisten vermag. Man muss 
                positiv denken. 
                In einer praktischen Versandtasche aus stabilem Karton lässt 
                mir der bemerkenswerte Verbrecher-Verlag aus Berlin ein Berlin-Büchlein 
                zukommen. Kleine Texte aus einer großen Stadt. Verfasst 
                von dem aufmerksamen Dichter und Journalisten René Hamann 
                und zwischen 2003 und 2008 unter anderem in der taz erschienen. 
                Für alles ist aber auch dieser Mann nicht zu haben. Als er 
                sich aufmacht, den Flecken Britz im berühmten Stadtteil Neukölln 
                zu besuchen, freut er sich auf einen "urigen Altkern mit 
                lieblichem Schloss", zieht aber enttäuscht von dannen, 
                als ihm im Britzer Park "am frühen Nachmittag" 
                Betrunkene entgegenwanken. Gefallen hat mir an diesem Erlebnisbericht 
                vor allem das fast schon verschollen gewähnte Attribut "urig", 
                mit dem man in meiner Jugendzeit vor allem Gaststätten charakterisierte, 
                in denen ausgediente Kaffeemühlen und Zwiebackdosen zur Dekoration 
                ausgestellt waren. Sehr schön auch der Satz "In der 
                Kellerbar machte sich Wehmut breit" in einer anderen Geschichte. 
                Wenn ich irgendwann einmal wieder zum Besuch bei einem meiner 
                jungen Dichterfreunde in der Spreemetropole weile, wird mich Hamanns 
                handliches Berlin-Brevier auf jeden Fall begleiten. 
                Nahe Berlin liegt das hübsche Städtchen Potsdam, dessen 
                Einwohner sich durch natürlichen Charme und eine großzügige 
                Hilfsbereitschaft auszeichnen. Der Potsdamer wie die Potsdamerin 
                sind stets nach Kräften bemüht, den Ortsfremden seine 
                Ortsfremdheit vergessen zu lassen. So erfuhr ich es vor vielen 
                Jahren, als ich kurz nach dem Fall der Mauer einen Abstecher in 
                diesen historisch so bedeutsamen Ort unternahm, und so wäre 
                es sicher auch dem hessischen Schriftsteller Andreas Maier ergangen, 
                hätte er sich bereitgefunden, das ihm angetragene Amt des 
                Stadtpoeten wahrzunehmen. Allein, er mochte aus mancherlei Gründen 
                nicht einmal zeitweise in Potsdam wohnen, was ihm von den Kulturverwaltern 
                des Ortes lange übelgenommen wurde. Doch nun hat Maier einen 
                ganzen Roman verfasst, dessen Handlung zum überwiegenden 
                Teil von Einwohnern und Besuchern der sympathischen alten Garnisonsstadt 
                bestritten wird. Leicht zu überschauen ist es nicht, was 
                dort passiert, vor allem, weil es zum Teil unter der Erde stattfindet, 
                in den weitläufigen Katakomben nämlich, die den Park 
                von Sanssouci untertunneln. Doch wofür gibt es Erzähler, 
                die uns Leser an die Hand nehmen und behutsam um all die Abgründe 
                herumführen, die sich in ihren Geschichten auftun? Und in 
                Maiers Sanssouci gibt es derer viele. Vergnüglich ist das 
                Buch selbstredend, allein der Umstand, dass er eine seiner Figuren 
                ein "herumliegendes Wurststückchen" verzehren lässt, 
                zeigt die Freude des Autors am kulinarischen Detail. Maier ist 
                ja, wie man einem Beitrag in der Zeitschrift Volltext entnehmen 
                kann, selbst ein großer Freund der gebratenen Wurst. Auch 
                mir knurrt jetzt der Magen, und die Übelkeit von vorhin scheint 
                wie weggeblasen. Welch wunderbares Wirken literarischer Heilungskräfte. 
                Ich eile zum Kühlschrank, hole eine Flasche Bier und ein 
                Stück vollfetten holländischen Käse heraus und 
                setze mich vor den Fernseher. Die Welt ist schön. 
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