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Mord & Totschlag 48
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

"Unter den zahlreichen Romanen, welche mit der Messe unsere Bücherverzeichnisse anschwellen, vollenden die meisten den Kreislauf ihres unbedeutenden Daseins so schnell, um sich dann in die Vergessenheit und den Schmutz alter Bücher in den Lesebibliotheken zurückzuziehen, dass der Kunstrichter ihnen ungesäumt auf den Fersen sein muss, wenn er nicht den Verdruss haben will, sein Urteil auf eine Schrift zu verwenden, die eigentlich gar nicht mehr existiert." Was der Literaturkritiker Friedrich Schlegel vor über 200 Jahren beklagte, als innerhalb eines Jahrzehnts mal gerade 2500 neue Romane erschienen, hat sich bis heute zu einer formidablen Betriebskrankheit ausgewachsen. Dies gilt in besonderem Maße für die Krimibranche, deren monatlicher Ausstoß auch von viel lesenden Beobachtern nicht mehr zu überblicken ist. Ob all die Regional-, Schweden-, Frauen- und Mittelalterkrimis tatsächlich gelesen werden, sei dahingestellt, schließlich wird ein Gutteil von ihnen verschenkt. Und dies nicht immer an Liebhaber des Genres. "Eigentlich mochte sie keine Krimis", heißt es beispielsweise von der Heldin eines just erschienenen Fantasyromans, "aber sie hatte es bisher nicht verhindern können, zu allen möglichen Gelegenheiten welche geschenkt zu bekommen, denn Krimis waren so zum Allgemeingut geworden, dass alle meinten, damit bei einer Leseratte wie ihr nichts falsch machen zu können". Ich mag übrigens eigentlich keine Fantasy, musste mich aber von Anette Schaumlöffels Debütroman Die vergessenen Götter überzeugen lassen, dass es auch in diesem Genre Lesenswertes zu entdecken gibt. Was macht ein Gott, an den zwar niemand mehr wirklich glaubt, der aber, weil er zu einer literarischen Figur geworden ist, noch immer existiert? Sich aus dieser verzwickten Lage zu befreien, scheint Odin, dem Boss der germanischen Götterwelt, ein schier unlösbares Problem. Doch seine Raben Hugin und Munin wissen Rat: Odin muss hinab in die Menschenwelt des 21. Jahrhunderts. Denn hier wartet, ohne dass sie es weiß, seine Retterin, eben jene junge Frau, von der vorhin bereits die Rede war.
Wie turbulent es zugeht, wenn Menschen auf Götter treffen, wissen wir aus der griechischen Mythologie, die bis in unsere Gegenwart literarisch anregend wirkt. Dass Odin, Loki und Co. ihren hellenischen Vettern in nichts nachstehen, zeigt Anette Schaumlöffels ebenso amüsanter wie intelligenter Roman.
Und vielleicht würde deren unwillige Krimileserin sich auch eines Besseren belehren lassen, schenkte ihr jemand anstelle des neuen Wälzers aus skandinavischer oder amerikanischer Produktion einen Roman, der bereits im ersten Kapitel seinen literarischen Anspruch klarmacht. Hier wird nämlich nicht einfach draufloserzählt, sondern zunächst über die Eigenart von Geschichten reflektiert, "die den Leser von Anfang an in ihren Bann ziehen sollen". Dass es sich um eine solche Geschichte handelt, lässt sich nicht bezweifeln, beginnt sie doch, wie es sich gehört, mit dem Fund einer Leiche. Es folgt der Auftritt des Ermittlers in Gestalt von Kommissar Antonio Sarti, den der Erzähler gerne als "meinen Polizisten" bezeichnet. Sarti also macht sich an die Arbeit und stößt dabei auf ein kompliziertes Beziehungsgeflecht, in das, wir befinden uns im italienischen Bologna, auch so mancher lokale Politiker und Geschäftsmann verwickelt ist. Das sind Verhältnisse, gegen die sich nur begrenzt etwas ausrichten lässt, da freut es den Leser umso mehr, wenn dem Kommissar am Ende zumindest ein privates Glück beschieden ist. Unter den Mauern von Bologna ist der erste Kriminalroman des italienischen Autors Loriano Macchiavelli, der in deutscher Sprache vorliegt. Zu entdecken ist, daran lässt auch die sehr gut lesbare Übersetzung keinen Zweifel, ein Sprachvirtuose und Erzählkünstler, der im Krimigenre seinesgleichen sucht.
Wer allerdings die Tugend der narrativen Ökonomie schätzt, sollte lieber zu kernigerer Kost greifen. Zu Detlef Blettenbergs Bangkok-Roman Farang zum Beispiel, den der Pendragon-Verlag in einer wohlfeilen Taschenbuchausgabe neu aufgelegt hat. Blettenbergs Helden haben sich damit abgefunden, dass sie in einer Welt leben, die nicht zu retten ist. Und das nicht zu ihrem Nachteil, denn moralische Vorbehalte könnten sie sich nicht leisten.
Auch der Erzähler hütet sich zu bewerten, was hier in knappen Sätzen geschildert wird. Der Leser soll gefälligst sein eigenes Urteil fällen. Oder es vielleicht bleiben lassen.
Ein moralisch eher zwiespältiger Charakter ist auch Josaphat Peabody, ein schwergewichtiger Vertreter der englischen Kolonialbehörde, der um 1900 herum in einem südindischen Fischerdorf einen Mord aufklären soll. Nicht alle Unregelmäßigkeiten, auf die er bei seinen Nachforschungen stößt, hält er für verfolgenswert, und gerne lässt er sich darauf ein, das unrechte Treiben eines Steuereinnehmers zu ignorieren, wenn sich ihm dessen Gattin für ein Schäferstündchen zur Verfügung stellt. Mit seinen Peabody-Romanen stellt sich der französische Autor Patrick Boman in eine Tradition des schwarzhumorigen Kriminalromans, die einst in der Britin Joyce Porter (Chief Inspector Dover) eine herausragende Vertreterin hatte. Es ist zu hoffen, dass der kleine Zebu-Verlag weitere der bislang vorliegenden drei Peabody-Abenteuer in deutscher Sprache herausbringt.
Beenden wir unsere heutige Kunstrichter-Tätigkeit mit dem Hinweis, dass der Erfolg eines Buches nicht immer gleichbedeutend mit mangelhafter Qualität sein muss. Die Kriminalromane Jacques Berndorfs erscheinen seit geraumer Zeit schon in der ersten Auflage mit dem Aufkleber "Bestseller". Und tatsächlich verkaufen sich die Fälle des Journalisten und Amateur-Ermittlers Siggi Baumeister wie geschnittenes Brot. Eifel-Träume,der mittlerweile zwölfte Roman um den Pfeifenraucher und trockenen Alkoholiker, erzählt von ignoranten Erwachsenen und von Kindern, die mehr wissen, als ihnen gut tut. Den Mord an der dreizehnjährigen Annegret klärt der Reporter in gewohnter Manier auf, aber die Welt wird davon nicht wieder heile. Dass sich Baumeister dennoch bemüht, ein guter Mensch zu sein, lässt allerdings die bessere Alternative zumindest ahnen. Vielleicht rührt daher der Erfolg dieser Romanreihe, die allerdings noch gewinnen würde, wenn Berndorf darauf verzichtete, dem sentimentalen Siggi Sätze wie "Ich will deine Haut atmen" in den Mund zu legen.

 

Anette Schaumlöffel: Die vergessenen Götter. Roman. 509 Seiten. Blanvalet. München 2004. € 8,90.

Loriano Macchiavelli: Unter den Mauern von Bologna. Kriminalroman. Aus dem Italienischen von Sylvia Höfer. 347 Seiten. Piper. München 2004. € 19,90.

D. B. Blettenberg: Farang. Roman. 236 Seiten. Pendragon. Bielefeld 2004. € 9,90.

Patrick Boman: Josaphat Peabody geht fischen. Roman. 193 Seiten. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. Zebu. Frankfurt am Main 2004. € 12,90.

Jacques Berndorf: Eifel-Träume. Roman. 314 Seiten. Grafit. Dortmund 2004. € 9,95.