Am Erker 69

John Banville alias Benjamin Black: Die Blonde mit den schwarzen Augen

Richard Stark: The Hunter

Ray Banks: Dead Money

David Gray: Kanakenblues

Thomas Schweres: Die Abräumer

 
Mord & Totschlag 69
Die Krimi-Kolumne von Joachim Feldmann
 

Liest eigentlich noch jemand Raymond Chandler? Die Frage ist ernst gemeint. Schließlich sind Chandlers Romane um den weniger taffen als vielmehr sentimentalen Privatermittler Philip Marlowe, berüchtigt für ihre kühne Metaphorik und bis heute Vorbild unzähliger Detektivgeschichten, inzwischen ein fester Bestandteil des literarischen Kanons. Warum also sollten sie nicht das Schicksal anderer Klassiker - weltberühmt und wenig gelesen - teilen? Anlass zu dieser Überlegung gibt ein neuer Marlowe-Roman, den der irische Schriftsteller John Banville, exakt nach Vorlage arbeitend, hergestellt hat. Patina inklusive. Ein Meisterstück literarischen Handwerks, zweifelsohne. Banville, der hier unter seinem "Krimi-Pseudonym" Benjamin Black auftritt, trifft den Ton des Meisters im Detail. Auch der Plot, in dem Handlungsfäden aus Der lange Abschied (1954) und Playback (1957) geschickt wieder aufgenommen werden, ist so (gelegentlich ermüdend) kompliziert, wie man es vom Original gewohnt ist. Man staunt über Banvilles Kunstfertigkeit, fühlt sich aber unfreiwillig in die Rolle eines Literaturhistorikers versetzt.
Wahrscheinlich ist Raymond Chandler, anders als Dashiell Hammett, Georges Simenon oder Jim Thompson, im Herzen ein ebenso sentimentaler Knochen wie sein Held. Dass es sich bei allen Kriminalschriftstellern - von wenigen Ausnahmen abgesehen - um Sentimentalisten handle, ist übrigens eine These, die John Banville selbst aufgestellt hat. Sie böten ihren Lesern die Flucht aus der Wirklichkeit in eine fiktive Welt, in der man die Schurken an ihren Narben und der Knarre in der Hand identifizieren könne; kurz, wo Gut und Böse noch klar unterscheidbar seien. Solch Eskapismus der schlichten Art bleibt uns in seiner Chandler-Adaption weitgehend erspart. Vollständig darauf zu verzichten, gelingt ihm nicht. Und damit ist er wieder ganz nah beim Original.
Nachlesen lässt sich Banvilles Theorie übrigens in seinem Vorwort zur Neuausgabe eines "Parker"-Romans von Richard Stark (a.k.a. Donald E. Westlake). Der jeder Gefühlsregung unverdächtige Gangster betreibt Verbrechen als kühl kalkuliertes Geschäft. Für den ritterlichen Marlowe hätte er im Zweifelsfall höchstens eine Patrone übrig, auch wenn er Gewaltanwendung wegen des unnötigen Risikos eigentlich ablehnt. Skrupel quälen ihn nicht. Diese Eigenschaften machen Parker zu einem faszinierenden Romanhelden mit eher geringem Identifikationspotenzial. Und man sieht es ihm an, auch wenn er keine Narben im Gesicht trägt. "Sein Kopf war ein abgestoßener Betonklotz mit Augen aus unreinem Onyx. Sein Mund war ein rascher Strich, blutleer. Sein Jackett flatterte hinter ihm, und er schwang im Gehen locker die Arme", wird er zu Beginn des nun in einer neuen Übersetzung vorliegenden ersten Parker-Romans von 1962 beschrieben. Ein Mann, der die Frauen erschauern lässt. Es ist eine brachial vorgetragene Primitivität, die Absage an jede Feinsinnigkeit, aus der dieser Klassiker der Pulp-Fiction seinen zeitlosen Reiz bezieht.
Als wir Parker kennenlernen, besitzt er nichts außer den schlechtsitzenden, zerschlissenen Kleidungsstücken, die er am Leib trägt. Es dauert keinen Tag, bis er wieder flüssig ist. Ob er Hoffnungen hat, verschweigt der lakonische Erzähler. Stattdessen schildert er sachlich, mit welchen Tricks Parker zu Geld kommt.
Diese Möglichkeit hat nicht jeder. Alan Slater bleibt zum Schluss nur eine zwei Tage alte Zeitungsausgabe. Seine Frau hat ihn gerade verlassen, das Eigenheim ist weg, der Job ebenfalls. Doch in der Zeitung stehen Anzeigen, die alles, was man braucht, anbieten. "Hoffnung währet ewiglich", denkt Slater und muss selbst darüber lachen. Als Vertreter für Doppelglasfenster war er nicht schlecht. Aber er ist auch ein Spieler. Und er hat einen gefährlichen Freund namens Beale, der ihn mit großer Überzeugungskraft in kriminelle Machenschaften zieht. Ray Banks tiefschwarzer Roman Dead Money ist eins dieser Bücher, an deren Anfang man schon das schlechte Ende kommen sieht. Die Urfassung gab es bereits 2004 unter anderem Titel, nun ist die deutsche Übersetzung einer bearbeiteten Variante im Polar-Verlag erschienen, dessen ambitioniertes Programm sich vor allem dem europäischen Noir widmet. Banks lässt Slater selbst erzählen, knapp und ohne große Faxen. Es ist keine schöne Geschichte. Bei Magendrücken helfen, zumindest zeitweise, Pillen und gegen misstrauische Ehefrauen improvisierte Lügen, doch gegen Leichtsinn und Dummheit scheint kein Kraut gewachsen. Also geht es unaufhaltsam bergab mit dem Mann. Ein elendes Schicksal, aber, wie nicht selten, auch hier der Stoff großer Literatur.
Knalliger als in Englands einstiger Industriemetropole Manchester, wo der Schotte Banks seinen Anti-Helden vor die Hunde gehen lässt, doch nicht weniger tragisch geht es in David Grays Hamburg zu. Kanakenblues heißt der aktionsgesättigte Thriller, der sich John Banvilles Verdikt auf drastische Art und Weise entzieht, denn die Grenze zwischen Gut und Böse ist hier seit langem durchlässig geworden. Der Polizist, dunkle Hautfarbe, englischer Name, fädelt zum Beispiel zusammen mit einem Karrieregangster einen riskanten Drogendeal ein, um zwei üble Kollegen unschädlich zu machen. Doch es geht nicht um Einzelfälle. Der ganze Apparat ist bis zur Spitze hin korrupt und die Politik gleichermaßen. Ob Immobilienspekulation, Prostitution oder Drogen - allein das Geschäft zählt. Und inmitten dieses Sumpfes nimmt ein Vater Rache. Er ist bewaffnet. Einen nach dem anderen wird er diejenigen töten, die seine Tochter vergewaltigt haben. David Gray führt die Ereignisse einer Nacht auf dramatische Weise zusammen. Knappe Sätze und rasche Szenenwechsel sorgen für Beschleunigung und Spannung. Am Ende wird es symbolisch. Hauptkommissar Boyle schießt durch ein geschlossenes Fenster auf sein eigenes Bild. Es ziert ein Werbeplakat der Polizei.
Kanakenblues ist ein ungemütliches Buch. Blutrünstige Gruseleffekte für behagliche Abende auf der Couch sind Grays Sache nicht, seine Darstellung des Verbrechens verzichtet nicht immer auf Genreklischees, wohl aber auf jede schwarze Romantik. Und das ist gut so.
Von Hamburg ins Ruhrgebiet - neben der Hauptstadt wahrscheinlich die provinziellste Metropole der Republik. In Dortmund ermittelt Kommissar Schüppe, ein ungeselliger Schalke-Fan im Feindesland. Auch hier kann man die bösen Buben (oder Mädels) in der Regel nicht an ihrem Narbengesicht erkennen. Kriminelle Energie findet auch in einer Amtsstube ihre Möglichkeiten, und so manch kleines Rädchen träumt davon, eines Tages das große Ding zu drehen. Dass irgendwann dann doch eine Leiche im Wald liegt, ist anscheinend unvermeidbar. Thomas Schweres' zweiter Fall für Schüppe kommt streckenweise launig daher, darf aber keineswegs mit den sich influenzaartig verbreitenden Humorkrimis verwechselt werden. In diesem Roman geht es erfrischend realistisch zu. Alltagstragödien geraten ebenso in den Blick wie die Gier nach dem großen Geld. Dass Schweres im Hauptberuf Reporter ist, bleibt nicht unbemerkt. Exotische Metaphern und originelle Vergleiche sind vielleicht auch deshalb Mangelware. Wofür wir durchaus dankbar sein dürfen.

 

John Banville alias Benjamin Black: Die Blonde mit den schwarzen Augen. Ein Philip-Marlowe-Roman. Aus dem Englischen von Kristian Lutze. 286 Seiten. Kiepenheuer & Witsch. Köln 2015. € 14,99.

Richard Stark: The Hunter. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. 191 Seiten. Zsolnay. Wien 2015. € 17,90.

Ray Banks: Dead Money. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Antje Maria Greisiger. Polar. Hamburg 2015. € 12,90.

David Gray: Kanakenblues. Kriminalroman. 373 Seiten. Pendragon. Bielefeld 2015. € 12,99.

Thomas Schweres: Die Abräumer. 254 Seiten. Grafit. Dortmund 2015. € 9,99.