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Unionsverlag
Salim Alafenisch

 
Rezensionen

Salim Alafenisch: Die Feuerprobe
 

Feuerproben in fremden Kulturen
Thomas Glatz

Ein in Heidelberg lebender Mann schneidet sich die Fingernägel über einem Küchentuch, sammelt die Schnipsel ein und spült sie in der Toilette herunter.
Was ist denn das für eine sonderbare Einleitung? Hat der Rezensent eine Wette über den bizarrsten Rezensionseinstieg abgeschlossen? Warum der Umschweif?
Nun, der Mann aus Heidelberg ist Beduine. In seinem Stamm werden Haare und Fingernägel normalerweise im Wüstensand vergraben, damit sie nicht in die Nähe eines Feuers gelangen und es verunreinigen können. Schon in Altpersien glaubte man an die besondere Bedeutung und die heilige Reinheit des Feuers.
Bei dem Mann aus Heidelberg handelt es sich um den 1948 als Sohn eines Beduinenscheichs in der Negevwüste geborenen Salim Alafenisch, der erst als 14-Jähriger Lesen und Schreiben lernte, später Ethnologie, Soziologie und Psychologie studierte und heute ein deutschsprachiger Autor ist. Salim Alafenisch lebt laut eigener Aussage nicht zwischen, sondern in zwei Kulturen. Das macht auch den Reiz von Die Feuerprobe aus.
Doch das Buch ist mehr. Für Alafenisch ist es die Geschichte seines Stamms, eine Familiengeschichte, für die er sich vierzig Jahre Zeit gelassen hat, die ihm ein Leben lang nachgegangen ist, ihm all die Jahre unter den Nägeln brannte. Alafenisch war Zeuge, als sich sein Bruder einer noch aus vorislamischem Beduinenrecht stammenden Feuerprobe unterziehen musste, er hat dies zu einer Novelle verarbeitet, später Feldforschungen gemacht und selbst an über zweihundert Feuerproben teilgenommen. Im Nachwort betrachtet er seinen Novellenstoff daher aus einem ethnologisch-soziologischen Blickwinkel.
1966 wurde eine Straße von Beer Sheba zum Toten Meer gebaut. Damals steckte die PLO in den Anfängen. Es kam zu einem Anschlag auf eine wichtige Brücke, bei dem ein Angehöriger des Nachbarstammes ermordet wurde. Spurensucher bestätigten, dass die Täter das Lager der Alafenischs passiert haben mussten. Sie seien gesehen, uraltes Nachbarschaftsrecht sei verletzt worden. Es war entsetzlich kalt in jener Schicksalsnacht, so kalt, dass der Esel Blut pinkelt, wie die Beduinen sagen. Daher war keiner vor dem Zelt und hatte die Täter gesehen. Alafenischs Sippe wurde dennoch ein halbes Jahr in die Verbannung geschickt. Der Stamm des Ermordeten schlug ihnen vor, die Feuerprobe zu machen, um die Unschuld der Sippe zu beweisen. Da dies nur in Ägypten möglich war und die Grenzen damals geschlossen waren, konnte die Feuerprobe erst viel später, in den 1980er Jahren, durchgeführt werden.
Salim Alafenischs Bruder wurde ausersehen, zum Feuerprobenrichter zu reisen und dreimal mit der Zunge über eine glühend heiße Pfanne zu lecken. Verbrannte er sie sich, dann hatte seine Sippe gelogen. Wie die Feuerprobe ausging, darf ich natürlich nicht verraten. Ich darf aber verraten, dass Salim Alafenisch die komplizierte Geschichte schlicht, spannend und poetisch erzählt, wie er es schon früher, etwa in dem wunderbaren Buch Das Kamel mit dem Nasenring, getan hat.

 

Salim Alafenisch: Die Feuerprobe. Erzählung. 144 Seiten. Unionsverlag. Zürich 2009. € 8,90.